Zeit der Unschuld by Wharton Edith

Zeit der Unschuld by Wharton Edith

Autor:Wharton, Edith
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Manesse Verlag
veröffentlicht: 2015-08-11T16:00:00+00:00


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Die kleine blanke Rasenfläche zog sich vor bis zur großen blanken See.

Das Grün war von scharlachroten Geranien und Buntnesseln eingerahmt, und an dem Weg, der sich zum Meer schlängelte, standen in regelmäßigen Abständen gusseiserne, schokoladenfarben gestrichene Vasen, aus denen Petunien und Hängegeranien ihre Girlanden über dem sauber gerechten Kies baumeln ließen.

Auf halber Strecke zwischen der Meeresklippe und dem schnörkellosen, ebenfalls schokoladenfarbenen Holzhaus, dessen gelb-braun gestreiftes Blechdach an eine Markise erinnern sollte, waren vor einem Gebüsch zwei große Zielscheiben aufgestellt. Auf der anderen Seite des Rasens, gegenüber den Zielscheiben, hatte man ein echtes Zelt aufgeschlagen, mit Bänken und Gartenstühlen darum herum. Damen in Sommerkleidern und Herren in grauen Fräcken und Zylindern standen auf dem Rasen oder saßen auf den Bänken, und ab und zu trat ein schlankes Mädchen in gestärktem Musselin mit einem Bogen in der Hand aus dem Zelt und ließ einen Pfeil auf eine Zielscheibe sausen; dann unterbrachen die Zuschauer ihr Gespräch, um das Ergebnis zu besichtigen.

Newland Archer blickte von der Veranda neugierig auf diese Szene hinunter. Zu beiden Seiten der hochglanzlackierten Stufen standen große blaue Porzellanblumentöpfe auf hellgelben Porzellanuntersetzern. In den Töpfen wuchsen stachelige grüne Pflanzen, und unterhalb der Veranda verlief ein breites Beet mit blauen Hortensien, auch sie wieder umrahmt von roten Geranien. Die Terrassentüren hinter ihm, durch die er herausgetreten war, gewährten zwischen wehenden Spitzenvorhängen hindurch Einblick in die Wohnräume mit dem spiegelglatten Parkett, auf dem sich chintzbezogene Puffs, zwergenhafte Lehnstühle und Tische mit Samtdecken und silbernem Nippes wie Inseln verteilten.

Der «Bogenschützenclub Newport» veranstaltete sein Augusttreffen immer bei den Beauforts. Das Bogenschießen, mit dem früher nur Crocket hatte konkurrieren können, wurde zwar allmählich vom Rasentennis abgelöst, doch galt Letzteres für gesellschaftliche Anlässe noch immer als zu rabiat und unelegant, und weil sich hier die Gelegenheit bot, schöne Kleider und anmutige Haltungen vorzuführen, vermochten sich Pfeil und Bogen nach wie vor zu behaupten.

Archer blickte staunend auf das vertraute Schauspiel hinunter. Es verwunderte ihn, dass das Leben weiter in den alten Bahnen verlief, wo sich doch seine eigene Einstellung dazu so gründlich geändert hatte. Gerade Newport hatte ihm das Ausmaß der Veränderung zum ersten Mal vor Augen geführt. Nachdem er und May sich in New York in dem neuen, grüngelben Haus mit dem Erkerfenster und dem pompejanischen Vestibül niedergelassen hatten, war er im letzten Winter erleichtert zu der gewohnten Kanzleiroutine zurückgekehrt, und dass er diese tägliche Arbeit wieder aufnahm, wirkte wie eine Brücke zu seinem früheren Selbst. Dann hatte er die angenehm aufregende Aufgabe, für Mays Brougham (ein Geschenk der Wellands) einen prächtigen grauen Traber zu suchen, außerdem hielt ihn längere Zeit die Einrichtung seiner neuen Bibliothek in Atem, die trotz der Bedenken und Beanstandungen der Familie so ausgeführt wurde, wie er es sich erträumt hatte, nämlich mit einer dunklen, geprägten Tapete, Eastlake-Bücherschränken und «richtigen» Lehnstühlen und Tischen. Im «Century» traf er wie früher auf Winsett und im «Knickerbocker»117 auf die vornehmen jungen Männer aus seinen Kreisen, und dank der Stunden in der Kanzlei, der Dinner-Einladungen – auswärts oder zu Hause – und hie und da einem Abend



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